Der Wecker im Zug klingelt um acht Uhr. Ungefähr eine Stunde später, mit nur 40 Minuten Verspätung, rollen wir in Hué ein. Am Ausgang des Bahnhofes werden wir noch einmal angehalten, wir sollen unser Zugticket abgeben. Aha… wird man sonst, wenn man dies nicht mehr hat, etwa zurück in den Zug geschickt? Nun ja, kaum aus dem Bahnhof heraus, werden wir von bestimmt 30 Leuten gleichzeitig bestürmt, die uns alle in ihre Hotels locken, oder uns sonstwo hinbringen möchten. Wir lehnen alles ab, kämpfen uns durch und bekommen sogar von einem sehr freundlichen Moto-Taxi-Fahrer, der wohl doch noch darauf spekuliert uns fahren zu dürfen erklärt, dass die erste Brücke gesperrt sei und wir erst über die zweite Brücke ins Stadtzentrum kommen. Wir bedanken uns und gehen trotzdem zu Fuß weiter, denn so weit ist unser Hostel gar nicht entfernt. Das erste was uns hier auffällt: Hier ist es noch drückender und schwüler als in Hanoi. Das Zweite: Der Verkehr ist weeeeeesentlich entspannter. Klar, hier leben ja auch ein Paar Millionen Menschen, und damit wohl auch einige hundertausende Motorcycles weniger.

Am Hostel angekommen werden wir wieder unglaublich freundlich empfangen. Man, die Menschen hier sind so ehrlich nett, davon könnte sich so mancher Europäer mehr als eine Scheibe abschneiden.

 

Wir fackeln nicht lange, gehen kurz duschen und Boris bucht, direkt im Hostel, noch seine Nationalpark-Tour für morgen. Ich werde morgen, da meine Halsschmerzen immer schlimmer werden und ich auch seit Afrika erst einmal genug von Nationalparks habe, einen Tag frei nehmen und diesen ganz gemütlich durch Hué schlendernd verbringen.

Alles ist erledigt. Boris´ Tour gebucht, das Hostel für zwei Tage bezogen, Geld gewechselt und die Roller für den Tag stehen bereit. Moment mal, Roller für den Tag? Ja, ihr habt richtig gelesen:
Boris und ich wagen uns heute das erste Mal mit eigenen Bikes in den verrückten vietnamesischen Verkehr. Der freundliche Hotelmann erklärt uns noch wie wir zur nächsten Tanke kommen, da die Tanks der Roller nicht voll seien. Wir werfen noch einen kurzen Blick auf die Karte und zuckeln los. Unsere Ziele sind die Gräber der Herrscher aus der Nguyen Dynastie, die rund um Hué verstreut in der Region liegen. Das könnte man zwar auch mit einer Tour besichtigen, aber a) ist diese schon seit heute morgen um acht Uhr unterwegs und wir wollen ja keinen Tag verschenken und b) ist es so auch viel freier und vor allem aufregender. Boris und ich hechten noch schnell in den nächsten Kiosk (zwei Häuser weiter) und kaufen uns jeder eine der modischen Atemschutz-Stoffmasken, die 90% der Vietnamesen auf den Rollern und auch in den Straßen der Städte tragen, um nicht während der Fahrt an Smog und Staub zu sterben und auch um nicht gleich als Tourist erkannt zu werden, denn: Unser Führerschein gilt hier nicht. Jetzt kanns endlich los gehen.

Kaum ist die Abenteuertour gestartet, endet sie auch schon wieder abrupt. Nach nicht mal 300 Metern säuft mein Roller an einer Ampel ab und springt auch nicht wieder an. Der Tank ist furztrocken. Bis zum letzten Tropfen leer. Ach so, SO wenig Benzin ist da also drin… Kaum stehe ich an der Ampel geben mir zwei Vietnamesen zu verstehen, ich solle auf den Bürgersteig kommen. Gesagt getan, bieten sie mir direkt Sprit an. Zwei Liter für nur 80.000 Dong (nicht mal drei Euro). Billig, könnte man nun meinen, doch da wir wissen, dass der Sprit an der Tanke genau die Hälfte kostet, lehnen wir dankend ab und Boris fährt schnell zurück zum Hostel. Keine fünf Minuten später bringt mir ein Mitarbeiter des Hotels ein anderes Bike. So, nun geht’s endlich los.

Mein Roller klingt zwar, als würde man ein Stück Hartplastik bei 50km/h über den Asphalt ziehen, aber daran habe ich mich schnell gewöhnt. Man darf halt nicht zu viel erwarten. Boris trifft es härter. Sein rechter Rückspiegel ist nicht fest zu machen und die Rückleuchte gleich ganz kaputt.

Hm, ein bisschen Schwund ist immer. Haben wir uns etwa schon so sehr an den Lebensstil hier gewöhnt, dass uns das alles einfach egal ist, oder wir es als gegeben akzeptieren? Es scheint wohl so. Boris geht ordentlich die Muffe als wir in unseren ersten Kreisverkehr fahren. Hier fährt alles kreuz und quer, gerne auch mal in die falsche Richtung. Allerdings merkt man schnell wie der Hase läuft.
Grob in die richtige Richtung lenken, langsam in diese fahren, ein bisschen aufpassen, das man niemanden rammt und, ganz wichtig, alle Paar Meter die Hupe betätigen. Damit kommt man überall weiter, selbst wenn man mal auf die falsche Fahrbahnseite gerät…

Auf dem Hinweg zum weit entferntesten Grabdenkmal, dem von Minh Mang, verfahren wir uns ein Mal und landen in einem völlig abgeschiedenen Dorf. Total geil, nach all dem Stadtleben nun auch mal die andere Seite von Vietnam zu sehen. Wir fahren im Schritttempo durch und lassen die Eindrücke auf uns wirken, bevor wir umkehren und uns wieder auf den richtigen Weg begeben. Als wir an einer Kreuzung stehen und in die Karte schauen, kommt eine alte Frau mit einem Fahrrad um die Ecke, schaut kurz auf unsere Karte, lächelt, und erklärt uns mit Händen und Füßen den Weg. Sagte ich schon, dass ich die Vietnamesen mag?

 

Die Tempelanlagen (wir besichtigen drei von sechs), sind allesamt großartig. Eine pompöser als die andere. Am besten hat uns allerdings die Anlage von Tu Doc gefallen, die teilweise von einem deutschen Verband für Restauration wieder aufgebaut und renoviert wurde.

Die Anlage ist gigantisch groß und beinhaltet neben dem Grab des Herrschers selbst, auch das der Kaiserin und das des Kaisers Kien Phuc. Da die beiden kinderlos waren, musste sich Tu Duc selbst eine Lobesrede für die Grabtafel verfassen. Die Grabtafel ist die größte des Landes mit fast 5000 chinesischen Schriftzeichen und wiegt über 20 Tonnen. Wer wissen will warum hier chinesische Schriftzeichen und nicht römische Buchstaben, so wie üblich in Vietnam, verwendet wurden, der sollte sich einfach das YouTube Video anschauen.

Zu Lebzeiten war der Kaiser ein begnadeter Poet und sehr interessiert in Kunst und Theater, deshalb ist dies auch die einzige Grabanlage, welche mit einem eigenen Theater ausgestattet ist (welches fast vollkommen wieder hergestellt wurde). Die komplette Anlage ist sehr verwittert und wirkt unglaublich alt, obwohl sie „erst“ 180 Jahre auf dem Buckel hat. Man sieht überall die Natur, welche sich ihren Raum zurück erobert. Alles wirkt, wie in Dornröschens Märchenschloss. Ich finde die Leidenschaft des Kaisers für Kunst und Poesie hat eine besondere Wirkung auf die Anlage. Wenn man seine Phantasie ein wenig spielen lässt, kann man sich diese verwilderte Stätte unglaublich prächtig und wunderschön vorstellen. Aber bevor ich euch jetzt hier eine Klinke ans Ohr labere, seht selbst, was Worte nicht beschreiben können (und selbst die Bilder leider nur zum Teil wiedergeben):

Die Grabanlagen waren allesamt völlig unterschiedlich und auf ihre Art beeindruckend. Lustigerweise fanden sowohl Boris, als auch ich, die am größten und tollsten angepriesene Grabanlage, die des Kaisers Minh Mang, am langweiligsten. Die Fahrten zwischen den Grabanlagen waren immer wieder aufregend, da auf unserem Plan längst nicht alle Straßen eingezeichnet waren und wir uns des öfteren verfahren haben. Dank der lieben Bevölkerung, haben wir aber immer unser Ziel gefunden. In der Nähe der Anlagen verkaufen Frauen Räucherwerk, für die Altäre. Die knallbunten Stäbchen sind in Bündel zusammengesteckt und werden auf Gestelle, oder auf dem Boden zu unglaublich farbenfrohen Blumen und Mustern aufgestellt. Das sieht wirklich toll aus.

Nach der letzten Sehenswürdigkeit beschliessen Boris und ich, direkt hier in der Nähe noch ein Lokal zu suchen um etwas essen zu gehen. Nicht weit entfernt in einem kleinen Dorf sehe ich ein Straßenrestaurant, welches bis zum Bersten gefüllt ist. Wir fahren hin und stellen, wie alle anderen auch, unsere Roller irgendwo ab, hängen unsere Helme an die Lenker und begeben uns zu den, na klar, blauen Plastik-Tischen mit den Plastik-Stühlen. Auf den Tellern jedes einzelnen sieht man komische, undefinierbare braune Gebilde. Der Kellner sagt zur Frage nach einem Menü gar nichts. Er zeigt nur auf seine Augen und auf einen nahen Tisch. Irgendein Gemüsesalat, sieht aus wie Gurke, zwei Schälchen mit Tunke und, nun, zwei Teller mit einem Berg von Schnecken. Eigentlich so gar nicht meins, aber irgendwann muss man mit dem exotischen Essen ja mal anfangen. Jetzt kneifen wäre langweilig. Also setzen wir uns und harren der Dinge die da kommen mögen. Wir sind die einzigen Touristen hier. Nicht weiter verwunderlich, befinden wir uns schliesslich mitten in der Pampa. Man merkt schon, dass man ein wenig beäugt wird, aber wenn im tiefsten oberbayrischen Dorf ein Vietnamese am Tisch sitzen würde, würde er vermutlich schlimmere Blicke kassieren.

 

Mit Zahnstochern ziehen wir die glibberigen Viecher aus ihren Häuschen. Es gibt einen Teller voll mit großen und einen Teller mit sehr großen Schnecken. Ich probiere und bin wirklich erstaunt. Schmeckt gar nicht so schlecht, wie anfangs gedacht. Problem: Mein Kopf. Bei der dritten oder vierten großen Schnecke entdecke ich plötzlich die Fühler und die Augen. Ab da begnüge ich mich mit der kleineren Version. Die wird zwar deutlicher betrachtet, haargenau so aussehen, aber ich schaue einfach nicht mehr so genau hin.
Wir essen zwar nicht ganz auf, aber mit zwei Getränken, und dem kompletten Menü aus Brot, Tunke, Krabbenchips, Salat, Kräutern und zwei großen Tellern wirklich frischer Schnecken, haben wir nun (zusammen!) knappe zwei Euro bezahlt, und fanden es definitiv ausprobierenswert.

Nachdem wir Abends die Motorroller wieder abgegeben haben und froh sind, überlebt zu haben, wird Boris mitgeteilt, dass seine Tour zum Nationalpark leider aufgrund des schlechten Wetters abgesagt wurde. Boris ärgert sich und macht schon neue Pläne, als ich den Vorschlag mache, es doch einfach in der nächsten Touri-Info zu versuchen. Und tatsächlich nicht nur findet er dort eine ähnliche Tour, nein, diese Tour hat sogar noch mehr Sehenswürdigkeiten auf dem Programm, ein freies Essen und ist günstiger als Boris´ eigentlich gebuchte Tour. Nachdem alle Formalitäten erledigt sind, begeben wir uns noch auf einen kleinen Snack in die örtliche Touristenfalle. Ein toller Laden, der von Oben bis Unten bemalt und beschrieben ist, von allen Leuten, die hier einst einen Stop eingelegt haben. Zwei freie Billiardtische, einen unten und einen im ersten Stock, eine große, offene Küche und eine stylische Bar schmücken die Räumlichkeiten. Es gibt sogar eine Vitrine für Book-exchanges und ein Regal voller Gesellschaftsspiele. Der Laden könnte original so in jeder europäischen Stadt stehen.

Hier gibt es, kulinarisch gesehen, alles. Pizza, Pasta, Suppen, Salate, Baguettes, nationales und internationales, Frühstück, Mittag- und Abendessen. Wir bestellen beide etwas hiesiges und warten. Ziemlich lange. Meine Suppe ist nicht die, die ich bestellt hatte und schmeckt auch irgendwie komisch. Etwa zehn Minuten später, während ich schon fast fertig bin, kommt auch Boris´ Essen endlich, nur meine bestellte Cola wurde vergessen…
Das Essen war nicht der Hit und liegt schwer im Magen.

 

So komisch das auch klingen mag, aber ich glaube unsere Straßenküchen-Schnecken waren sowohl gesünder als auch leckerer, als das hier. Vom sehr viel niedrigeren Preis mal ganz abgesehen.
Straßenessen in Vietnam ist eben doch das Beste!

 


Hi, ich bin Sören
Musiker, Schauspieler und leidenschaftlicher Reisender.

Lasst mich Euch auf dieser Seite mit meinem Fernweh anstecken und zu Euren eigenen Abenteuern inspirieren.

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