PETER: „Puh, wo soll ich nur anfangen?“
MARTIN: „Wie wärs mit: Am Anfang?“ “
(Auszug aus „Butterbrot“, einem der Stücke, die ich bald auf der Mein Schiff 3 spielen werde)

 

Januar 2017, ich sitze am PC um geeignete Festivals und Veranstaltungen zu suchen, bei denen wir uns als Band für dieses Jahr noch bewerben könnten. Bisher ist das Jahr mit nur sieben Konzerten noch recht karg und ich stehe mal wieder vor der für freie Künstler so typischen Frage: Woher soll ich bloß das Geld nehmen um meinen Lebensunterhalt zu finanzieren?

 

In just diesem Moment bekomme ich eine E-Mail, Absender: TUI-Cruises. Die Mail sieht verdächtig nach SPAM aus und so wandert mein Mausfinger schon nach oben, um die unerwünschte Werbung, klick, zu entfernen, als ich von der Einladung zu einem Casting lese. Glücklicherweise ist mein Kopf schneller als mein Finger und statt die Mail ad-hoc zu löschen, lese ich sie mir durch.

 

Es werden noch Schauspieler und Sänger für die Saison 2017 auf mehreren der TUI-Cruises Kreuzfahrtschiffe gesucht. Da mir die ganze Sache komisch vorkommt, denn ich habe schließlich nie eine Bewerbung an TUI geschickt, rufe ich die in der E-Mail genannte Telefonnummer an und habe eine sehr freundliche und mir sofort sympathische Mitarbeiterin am Telefon. Auf meine Frage, woher man denn meine Daten habe antwortet diese, dass ich ja schon im System sei und doch auch schon einmal bei einem Vorsprechen war…

 

Da ich mich sowohl an eine Bewerbung, als sicherlich auch an ein Vorsprechen solcher Art erinnern würde, bin ich ein wenig perplex ob der Aussage und überlege kurz zu fragen, ob ich denn beim letzten Mal auch schon angenommen wurde und ohne Vorsprechen direkt anfangen könne. Ich verkneife mir diese Bemerkung und frage, wann ich denn vorbeikommen soll. „Wie wäre es am Donnerstag, also übermorgen?“
Hui, das ist aber wirklich sehr zeitnah. Ich sage zu, gebe aber zu bedenken, dass ich keinerlei Monologe mehr “auf Abruf“ habe, da ich nun seit sieben Jahren nur noch Musik mache und kaum noch Schauspiel betrieben habe. Das sei gar kein Problem, ich solle einfach ein Lied mitbringen, einen Monolog würde man mir heute noch zusenden. Einen Tag Zeit also um einen eineinhalb Seiten langen Monolog auswendig zu lernen… Sportlich.
Sportlich, aber machbar.

Zwei Tage später stehe ich bei TUI-Cruises in Berlin vor drei Regisseuren, spiele mein Lied „Fernweh“ (fand ich irgendwie passend) und danach besagten Monolog. Nach ziemlich exakt einer Minute Beratungszeit unter den Regisseuren fällt der Satz: „Herr Vogelsang, wir machen es kurz: Wann wollen sie anfangen?“

 

Ich entscheide mich für den ersten, den längsten der drei zur Option stehenden Verträge, einen Vertrag von sechs Monaten. Zwei Monate Probe in Berlin ab April und anschließend vier Monate auf See. Einziger Wermutstropfen: Ich muss drei sehr schöne Festivals für diesen Sommer, auf denen wir eigentlich spielen sollten, absagen. Zum Glück reagieren alle Veranstalter, aufgrund langjähriger, guter Zusammenarbeit absolut cool auf meine Absage und ich werde mit einem „Danke fürs frühe Bescheid sagen, kein Problem“ aus allen drei Verträgen entlassen. Erste Hürde geschafft.

 

Die zwei Monate Proben in Berlin sind vorbei, noch bevor ich so richtig gecheckt habe, dass ich jetzt wirklich für vier Monate auf einem Kreuzfahrtschiff leben/spielen werde. Die Zeit geht aber nicht nur deshalb so schnell rum, weil alles so neu ist und die Proben so spannend sind, sondern und vor allem deshalb, weil ich gleichzeitig beschließe meine Wohnung in Berlin aufzugeben und damit zusätzlich noch ein Umzug meines gesamten Hausstandes ansteht, denn irgendwie habe ich, obwohl ich die Stadt wirklich sehr liebe, keine große Lust mehr nach Berlin zurück zu kehren. Ich parke die Sachen erst einmal bei meinen Eltern zwischen, da ich noch nicht weiss, wohin es mich danach ziehen wird. An dieser Stelle noch mal ein fettes, fettes Dankeschön an Marcel und Michael, zwei sehr gute Freunde von mir, die extra von Bonn nach Berlin gekommen sind um meinen Hausstand einzuladen, nach Bonn zurück zu fahren und dort wieder auszuladen, da mir am Schluss dafür einfach die Zeit gefehlt hat. DANKE!

Neben diesen ganzen Dingen stehen dummerweise außerdem auch immer noch die Aufnahmen der ersten LARP-CD an, da beim ersten Studiotermin unsere Cellistin Natasha und beim zweiten Studiotermin ich selbst krank war.

 

Also Wohnung auf Vordermann bringen, leer räumen und in Umzugskartons verpacken, CD aufnehmen, alles drumherum planen (Verpackung, Booklet, einen neuen Shop auf meiner Webseite anlegen, Release, Promotion, Vervielfältigung, Mix und Master, etc.) und „nebenbei“ Proben für sechs(!) verschiedene Theaterstücke, davon vier als Hauptrolle. Uff!

 

Und das Ganze in nicht einmal zwei Monaten. Zeit um darüber nachzudenken wie schnell die Zeit vergeht hat man da nicht wirklich.

 

Insgesamt sind zwei Monate auch sehr wenig Zeit für so viele Stücke, denn mit meinen sechs Stücken an sich ist es ja noch nicht getan. Ich spiele ja nicht in allen Produktionen die aufgeführt werden auch mit. Insgesamt gibt es sechszehn verschiedene Inszenierungen, darunter Musicals, Poolspots (kurze Musikanimationen am Pool), Lesungen, Theaterstücke, Vorträge, Hochzeitsgesang, Solos, etc.). So bleiben für jede Produktion nur circa fünf Tage Zeit. Fünf Tage vom ersten Zusammentreffen der Schauspieler und der ersten Leseprobe, bis zum Durchlauf mit Blick auf Details… Eine völlig neue Art des Arbeitens für mich (und für alle meine Kollegen ebenfalls, denn wir sind alle „Schiffs-Neulinge“). Stressig und herausfordernd, aber auch sehr intensiv und spannend. Die schlussendliche Ausarbeitung, so wird uns gesagt, findet eh erst an Bord statt, weil wir dort erst die beweglichen Bühnenteile und wirklichen Auf- und Abgänge haben.

Einen Augenblick später sind die zwei Monate Proben um und wir fahren mit der ganzen Meute (acht italienische Tänzer, drei ungarische und ein österreichischer Sänger, vier Artisten aus der Ukraine, Belgien und Frankreich und vier deutsche (bzw. in einem Fall deutsch/polnische) Schauspieler) mit dem Bus (ein ehemaliger VIP-Bundesliga-Bus) Richtung Kiel zum „Embarking“, dem Aufsteigen aufs Schiff.

 

Der erste Anblick meiner neuen „Wohnung“ für die nächsten vier Monate ist ziemlich beeindruckend, vor allem, weil direkt neben unserer „Mein Schiff 3“ auch die neue, erst vor einer Woche eingeweihte, „Mein Schiff 6“ steht. Die LKW, die am Dock Be- und Entladen, wirken wie Spielzeuge vor dem Panorama der beiden fahrenden Hochhäuser (15 Stockwerke, knapp 300 Meter Länge, 35 Meter Breite und einen Tiefgang von gerade einmal acht Metern, sowie eine Maschine mit 38.000 PS).

Aufgrund der Tatsache, dass wir wegen zwei kleiner Staus und sehr vielen auf- und absteigenden Gästen etwas zu spät an Bord kommen, bleibt keine Zeit für eine Verschnaufpause. Wir starten direkt mit den ersten zwei Meetings, dem „Kennenlernen“ unserer Vorgänger und der Vorstellung unseres Management-Teams für die verschiedenen Belange und Spielorte (Klanghaus, Theater und Pooldeck). Danach gibt es noch die erste Technik Einführung für die Mikrofonierung, das Abholen unserer Uniformen für die Trainings und den Gästebereich, Anmeldung, Überprüfung der Verträge und Papierkram, Erstellen der Schlüsselkarte für die Kabine (für die ich ein zweites Mal komplett durchs Schiff laufen musste, denn ausgerechnet meine funktionierte natürlich nicht) und die erste Seenotrettungsübung, die sowohl für Crew, als auch alle Passagiere Pflicht ist, denn sonst darf das Schiff nicht ablegen. Safety First.

Um 22 Uhr sind wir fertig  (in jeder Hinsicht) und fallen nach einem sehr motivierend-leckeren Abendessen in der Crew-Mensa völlig fertig ins Bett, denn morgen früh um neun Uhr stehen bereits die nächsten zwei Safety-Trainings, sowie die erste Probe an…

 

Ich bin unglaublich gespannt, was mich in diesen vier Monaten alles noch erwarten wird und auch, was wir, wenn wir denn dann irgendwann auch mal Zeit haben von Bord zu gehen, alles so sehen werden.

Unsere Reiseroute ist auf jeden Fall sehr spannend:
Erst Norwegen, Spitzbergen, Island, Faröer Inseln, das Baltikum und Russland, danach über England und Frankreich nach Spanien und Portugal. Zusätzlich sind, während wir an Bord sind, noch zwei kleine Festival-Kreuzfahrten mit Konzerten von Glasperlenspiel, Pur, Udo Lindenberg und vielen Anderen.

 

Ich versuche natürlich diesen Blog für Euch so aktuell wie möglich zu halten, allerdings wird das, gerade am Anfang der Reise, nicht immer möglich sein. Einerseits aufgrund der vielen Trainings und Proben, andererseits auch aufgrund der Internetverbindung, denn:

Das die Roaming-Gebühren in der EU wegfallen ist zwar schön und gut, dass aber internationale Gewässer, also ab circa einem Kilometer abseits der Küste, eigene Satelliten haben, die nichts mit Roaming zu tun haben, muss man auch erst einmal herausfinden. Ich sage nur: Ausgehende Anrufe 5,12€ pro Minute…

 

In diesem Sinne melde ich mich ab
Bis bald in Norwegen


Hi, ich bin Sören
Musiker, Schauspieler und leidenschaftlicher Reisender.

Lasst mich Euch auf dieser Seite mit meinem Fernweh anstecken und zu Euren eigenen Abenteuern inspirieren.

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